Sonntag, 6. Januar 2013

Ariel Denis | Stille in Montparnasse

Ein wundervoller kleiner Roman über einen Mann, der in Paris lebt und Popmusik hasst. Popmusik nennt er sie jedoch nicht, von dieser Diskothekenmusik ist immer die Rede. Der Herr geht gern zu Liederabenden und findet, dass man Musik eigentlich nur auf Konzerten hören dürfe. Also nix mit Kopfhörer in der Metro, nein, dieser Mann hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn er gleichzeitig liest und Musik hört. Auf einer sündhaft teuren Anlage, die sein Freund Markus Berger aus der Schweiz gebaut hat. Mit diesem geht er zu Konzerten von Hermann Prey oder in Restaurants, wo natürlich keine Musik laufen darf. Weil die technische Reproduktion von Musik sowie die damit verbundene Verbreitung der rein kommerziell motivierten Diskothekenmusik das Ende der Musik per se ist!
Stille, nichts als Stille wünscht er sich, weil zuviel Musik hören Verrat an der Musik bedeute, wie er sich ausdrückt. "Diese wenigen Augenblicke der Stille sind die schönsten der Welt."
Interessant ist dabei, dass der Ich-Erzähler feststellt, dass seit ungefähr einhundert Jahren die Musik nicht mehr zeitgenössisch ist, in dem Sinne, dass bis dahin Musik(aufführung) die die Zeit bestimmende Kunst war, dann aber von Film und Diskothekenmusik, die ja keine eigentliche Musik ist, verdrängt wurde in ihrer Einfluss-Hoheit. Schöner Gedanke.
Der Roman ist um ein zweiseitiges Kapitelchen gestrickt, das eine Hasstirade sondersgleichen auf die Popmusik ist und das man nicht beschreiben kann:

Und jetzt Ruhe, ihr Mikrofonlutscher, Heulbojen aus den Tonstudios, ihr faden Wisperer, Playbacksänger, ihr Bercy-Großkonzertpilger, ihr Kreativ-DJs für hippe Analphabeten und abgedrehte Snobs durchgemachter Nächte, ihr abgewrackten Rocker, ihr abgerissenen Rapper, ihr geblufften Bluffer, Kuschelmusiksänger ohne jeden Charme und ihr vollgedröhnten stimmlosen Woodstockschreihälse, ihr Hitparadensieger von Radio-Kakerlake, Improvisatoren billiger Lieder, ihr hohlen Rapper der multikulturellen mediatisierten Vorstadtpseudorevolution, ihr elektrifizierten Klampfen Klimpferer, Ruhe, seid endlich ruhig, und ihr auch, stocktaube Hörer des dauernden Geplätschers, kreischende Fans unanhörbarer Konzerte, ihr jungen Diskodeppen, ihr alten Neoklassiker aus den Vorstandsetagen, ihr debilen Ideologen der Jugendmusik und der rappenden Postmoderne, ministeriellen Musik-ist-gleich-Musik-Demagogen, ihr Sturköpfe der niederbretonischen Folklore und des Bantu-Singsangs, ihr widerlichen Einheitssoßenmoderatoren, Ruhe, seid endlich ruhig,, wer nicht ohne Mikro singen kann, soll gehen, wer auf Englisch plärrt, soll den Mund halten, wer behauptet, er würde in Diskotheken und auf Rave-Partys Musik hören, soll bei Tagesanbruch für immer verschwinden, wer Schlagzeug spielt, soll abhauen, Ruhe, seid endlich alle ruhig, Rockerinnen und Rocker, Rapperinnen und Rapper, Fummler und Zapper, ihre Wanderer ohne Wanderung und Spaziergänger auf Rollen, ihr Musikjogger und Läufer im Lärm, Träger von Handys mit der Kleinen Nachtmusik oder den ersten Takten der Fünften Symphonie, taube Ohren, schreiende Münder, Radio-Fernsehen, Musik für Moneten, Kaufhaushintergrundmusik und die von Flughäfen und von überall, es reicht, zu viele Töne, zu viele Trommeln, zu viel Zeugs aller Art, es reicht, seid endlich ruhig, basta la musica, Stille, nichts als Stille und nur Stille - der Vorhang öffne sich, das Klavier präludiere, und Hermann Prey beginne zu singen.

Wenn man das so liest und wenn man schon mal länger in Paris war, dann weiß man, dass es sie noch gibt, sehr selten nur, aber es gibt sie noch, die Marcel Prousts und Thomas Manns, es gibt sie in Paris, es gibt sie in Woody Allens Filmen und es gibt sie in diesem herrlichen Text von Ariel Denis.

(Es stehen da noch einige andere schöne Dinge drin, wie bspw.: "wie sagt Deleuze, Alkoholiker trinken, weil sie etwas gesehen haben, was zu groß für sie war." Oder auch: "sommers wie winters trug er oft einen Hut". Über den Musikanlagen entwickelnden Freund Markus Berger gibt es den schönen Satz: "Wie schade, dachte ich, dass er völlig auf jegliche künstlerische Laufbahn verzichtet hat, um sich ganz seinem internationalen Unternehmen für Elektrodrähte zu verschreiben.)

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