Donnerstag, 21. Februar 2013

leib.signale 2013

Roter Teppich, Rolltreppen, Begrüßung im verglasten Lofft mit exzellentem Blick auf die ehrwürdige Thomaskirche – der Glam hält Einzug in die leib.signale! Bereits zum vierten Mal wird der Wanderpokal unter den Filmfestivals 2013 veranstaltet und so heißt es dieses Jahr: Vier gewinnt! Und Will Future ist dabei, Live-Vorort.

Trotz des glamourösen Einstiegs wird schnell klar: die leib.signale bleibt das sympathisches Festival, das die Fans des Mainstreamkinos so lieben. Beispiel: Will Future hatte es verpasst, seinem Akkreditierungsantrag ein Foto beizulegen, die MacherInnen der vierten leib.signale haben einfach selbst eins besorgt. Erster Bonuspunkt. Der Empfangsort der leib.signale könnte symbolträchtiger kaum sein, zwischen zahlreichen Büchern und dem Gotteshaus auf der anderen Straßenseite denkt so manche/r Festivalbesucher/in: das ist alles Vergangenheit, die Zukunft ist der Film. Der Kaffee ist vorzüglich, der Pfefferminztee am Nebentisch erinnert unfreiwillig an den anstehenden ersten Film: frische Minzblätter in einem Glas sehen einfach immer nach Aquarium aus und damit könnte wir direkt zu Findet Silvio, nein Findet Nemo 3D überleiten. Aber lassen Sie uns noch ein wenig hier verweilen und einige Gedanken zur sagenumwobenen Festivaltasche der leib.signale anstellen.

Diese erscheint mit Festivalmacher Nummer 2 etwas später, weiß jedoch sofort durch mehrfarbigen Rundum-Druck zu überzeugen sowie mit: leichtem Inhalt – und entspricht dabei vortrefflichst dem Charakter des Mainstreamfilmprogramms. Neben Klassikern wie einer Saftpappe und einem Apfel trumpft der 2013er Jahrgang mit einem echten ProgrammHEFT auf, das mit edlem Tropenholz und ultraleichten Weltraum-Titanschrauben gebunden wurde – auch hier: ganz großes Kino.

Wie es sich für die vierte leib.signale gehört, geht es für Publikum und FestivalmacherInnen per Shuttle Linie 4 zum Kino des diesjährigen Filmfestes. Hier unterscheidet sich die leib.signale 2013 von den Festivals der letzten Jahren. Statt Kino-Hopping heißt es diesmal Kino-Sit-in, drei der vier Filme laufen im Regina Filmpalast im Leipziger SzeneVIERtel Reudnitz. Eine kleine Gruppe von FilmenthusiastInnen verzichtet auf den Shuttle-Transfer und reist mit dem Rad zum Kino. Doch auf halber Strecke dann das Unfassbare! An Will Futures Fahrrad (ja, zu seinen Superkräften gehört auch, dass er Radfahren kann) bricht der Frontscheinwerfer ab! Die aus klassischem weißen Plastik bestehende Lampe knickt nach links weg und – nur noch gehalten vom feinen Draht, der sie mit dem Dynamo verbindet – springt auf dem Vorderreifen auf und ab, mal links, mal rechts in die Speichen. Plastik- und Glassplitter spritzen durch die Luft, doch Will Future schafft es geistesgegenwärtig die Geschwindigkeit zu verringern und ohne Sturz das rad rechts ranzufahren. Glück gehabt!

In so einer Situation an einen Film wie Findet Nemo 3D zu denken, ist freilich unmöglich, ja: unmenschlich, und somit muss der erste Film der leib.signale ohne den Reporter Future stattfinden. Zu tief sitzt noch der Schock. Auch das direkt eingeholte Reparatur-Angebot sorgt für getrübte Stimmung. Erstmal zu Penny! Nachdem dort lebenswichtige Festival-Verpflegung besorgt wurde (Toffifee, Mini-Salamis, Cola), kann es mit dem zweiten Film der leib.signale 2013 losgehen.

Kaum am Kino eingetroffen, schon der nächste Nackenschlag für unseren Reporter. Kokowääh 2 ist ausverkauft. In der 14-Uhr-Schiene ist dieser „Film“ ausverkauft! „Denk ich an Deutschland in der Nacht…“ Statt diese glücliche Fügung zum eiligen Verschwinden zu nutzen, macht Will Future einen schweren Fehler: er druckst im Eingangsbereich rum, überlegt, was er nun tun soll und – zack! – da erscheint die leig.signale-Gruppe und spricht von Reservierung und solchen Dingen und Will Future sieht sich tatsächlich einen Fünfeuroschein gegen eine Karte für Kokowääh 2 eintauschen.

Das beste an dem Film sind die wunderbar abgerundeten Ecken der Leinwand. Das vergisst man manchmal, das Saal 2 im Regina Palast eine Leinwand mit abgerundeten Ecken hat. Da sieht jede noch so mittelprächtige Einstellung im Film gleich doppelt bis zweieinhalbmal so gut aus, wirklich wahr. Ansonsten macht Kokowääh 2 das Publikum der leib.signale fassungslos. Moralpredigten am laufenden Band, Fäkalhumor mit dem Schwerpunkt auf Fäkal und nicht auf Humor, grässliche Musik über jedem Dialog. Nachdem der Abspann endet und das Licht gerade begonnen hat, sich zu erheben, schallt es „Julius Hääke, ich hasse dich!“ durch den Raum. Freilich sei an dieser Stelle auch Tobias Schlobääch für die Ausrichtung der leib.signale 2013 gedankt. Da es bis zum nächsten Film Stürb langsam Fümpf eine gute Stunde Pause zu überbrücken gilt, bewegt sich der leib.signale-Tross im SzeneVIERtel Reudnitz in Richtung Kaufland. In der kulinarischen Passage eben dieses Einkaufstempels kommt es dann zu einem symbolträchtigen Anblick: die Gruppe größtenteils junger Menschen, manche essen Pizza, manche asiatische Nudeln, wird getrennt durch einen unüberwindbaren Zaun mit Plastikblumen drauf. Die einen diesseits, die anderen jenseits dieser, nun ja, Mauer. Die gesamtdeutsche Vergangenheit der leib.signale wird deutlichst spürbar. Doch die Mauer ist nicht in den Köpfen der Menschen, über die Plastikblumen hinweg wird miteinander gesprochen, zuweilen gar gescherzt. Größtenteils jedoch wird über Kokowääh 2 gelästert.

Zurück im Regina Palast gilt es nun, Bruce „Die Handtasche muss lebendig explodieren“ Willis nach Moskau zu folgen, wo er Urlaub machen und seinen Sohn besuchen will, was im Wesentlichen auch klappt. Gut, er trifft den Sohn erstmal an, als eine Gerichtsverhandlung durch eine prächtige Explosion gestört wird und dieser mit einem Mann vor den Polzisten flieht, aber gut. In einer besinnlichen Verfolgungsjagd, zunächst in einem Unimog, später in einem Mercedes-Jeep (guter Satz von Bruce, nachdem er einem schimpfenden Russen die Karre abgenommen hat: „Meinst du vielleicht, ich versteh dein Gequatsche?“) finden Vater und Sohn schließlich zusammen. Nette Szenen mit freundlichen Menschen hier und da, gelegentlich, also eigentlich ganz selten wird mal geschossen, höchstens mitten in Moskau tagsüber mit einem Hubschrauber minutenlang in eine Hausfassade. Wie es der Zufall nun will, müssen Vati und Sohnemann schließlich nach Chernobyl. Bruce Willis hat Angst (wollte ich schon immer mal schreiben, diesen Satz) und fragt seinen Sohn, ob das unbedingt sein müsse und ob es nicht vielleicht doch in das Chernobyl in der Schweiz gehen könnte, wo man Skifahren kann. „Du meinst Grenoble. Oder?“ In Chernobyl selbst tragen dann alle, bis auf die beiden Helden, Strahlenschutzanzüge bis jemand mit Anti-Strahlenspray kommt und das IPad anzeigt, dass die Strahlen weg sind. Schüsse, Explosionen, ein Hubschrauber, der auf die beiden Helden zielt, die in einem Haus sind, noch mehr Explosionen, ein beschauliches Ende. Letztendlich landen Vater und Sohn wieder in den Staaten und die Tochter/Schwester feut sich so sehr, dass sie nur den Bruder umarmt.

Die leib.signale verlässt im Anschluss den Regina Palast und marschiert in die Kulturlounge im SzeneVIERtel Reudnitz. Dort kommt erst Inseln von den Sternen, dann Trrrrmer, jedenfalls glaube ich, dass die Lieder so heißen. Es wird gespielt, im Programmheft heißt es „Vier gewinnt“ und ich gewinne. „Wir fanden uns ganz schön bedeutend.“ Dann auch noch: „Es hat keinen Sinn zu warten bis es besser wird“, das passt ja ganz vorzüglich zu diesem Tag Filmgeschichte. A propos Filmgeschichte, die leib.signale 2013 hebt die Kategorie „leib.signale classic“ aus der Taufe. Und zwar mit „Animal House“, dem angeblich ersten Highschool-Blödelfilm aus den USA. Läuft sogar auf Englisch und hat einiges Schöne zu bieten. „Ich studiere Jura!“ – „Du studierst doch Medizin!“ – „Das ist doch dasselbe!“ und so weiter, sehr schön.

Nachdem zwei wunderschöne Einspieler aus dem Empire (London, Mumbay) eingespielt werden (was soll man mit Einspielern auch anderes machen?), die ehemalige verdiente KuratorInnen des Festivals in ihrem heutigen sozialen Lebensraum zeigen, kommt es schließlich zur Preisvergabe, zum Überhelfen des goldenen Leibes und damit zum Auftrag, die nächste leib.signale zu veranstalten. Ein hochkomplexes Prozedere bestimmt zunächst den Film mit den meisten Punkten: Findet Nemo 3D. Da es allerdings „Vier gewinnt!“ heißt, gewinnt der Film mit den wenigsten Punkten auf Platz vier: Kokowääh 2! Ein noch komplexeres Prozedere bestimmt nun den Besucher des Festivals, der diesem oder irgendeinem Film irgendwelche Punkte gegeben hat: Tschens SchubART räumt das goldgebackene Brot ab, stemmt es in die Luft und wir sind gespannt auf die leib.signale 2014: fümpf ist trümpf!

2 Kommentare:

  1. Hach, bei diesen Zeilen wird man gleich ganz melancholisch. Und das obwohl ich bei dem 2013er Jahrgang nie dabei war. Naja, wie sagte will future einst: mahatmaglück, mahatmapech!

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  2. Und niemanden stört es, dass da LEIB und nicht LAIB steht. So passen die Menschen auf, heutzutage.. Hätte da GOLDENES KALP gestanden, hätte es der indianische Busfahrer aber bestimmt bemerkt, oder?

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